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wall of shame


Das Setting ist austauschbar:

Der Saal ist bereitet. Festlich beleuchtet. Hell. In der Mitte steht ein Stehtisch stellvertretend für mindestens sechs weitere. Auf dem Buffet weiße, gestärkte Decken. Der Schaumwein gekühlt. Zum Empfang hochstilige Sektflöten eng auf vier runden Tabletts. Mendelssohn Bartholdys tam tam tamtam wird aber nicht geflötet. Wir drücken auf Play. In Dauerschleife für die nächsten sechzig Minuten. Es ist Neunzehn Uhr (die Frage nach dem - wie spät, impliziert immer ein - zu spät. Typisch deutsch. Das nur am Rande). Apropos, lieber dreißig Minuten zu früh, als fünf zu spät, trudeln die Hochzeitsgäste (im Folgenden die Gesellschaft genannt) ein. Die Gesellschaft bewegt sich frei durch Raum und Zeit, bedient sich oder wird bedient, sie talkt small. Tam, tam, tamtam.



Was noch nicht erwähnt wurde: Das bisher beschriebene Setting spiegelt, im wahrsten Sinne des Wortes, nur eine Hälfte des Bühnenraumes wider. Mittig, auf der anderen Seite, eine kleine, aus zwei bis vier Bühnenpodesten bestehende Plattform, darauf ein Mikrofon, hinter diesem ein Brautkleid, darin eine Braut, darüber eine Diskokugel (in groß mit Motor). Angestrahlt scheint sie, im wahrsten aber auch im übertragenen Sinne, die einzige Lichtquelle für diese Hälfte des Raumes zu sein. Schummrig. Aber der Schein trügt, auf der Braut ein Spot (Bewegungsmelder). Soundcheck mit Mendelsohn Bartholdys tam, tam, tamtam. Mit ihr im Raum sind Musiker, Performer, Schauspieler (im Folgenden vereinfacht Tänzer genannt). An der Zahl noch unbestimmt, aber mindestens so austauschbar wie das Setting. Die Tänzer, enorm beschäftigt, verkabeln, ordnen, saufen heimlich, bauen auf und ab: DJ Pult, Instrumente, Technik. Sie tragen Mikroports. Sie kommunizieren routiniert und beiläufig. Kleine Ansagen, kurze Absprachen, Bestätigungen oder Verneinungen. Alles wie immer, professionell, freundlich, emotionslos (autobiographische Züge sind in der Tat nicht von der Hand zu weisen).



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